Der Flynn-Effekt und die Ausbildungslücke: Eignung vs. Glaubenssätze
Kennen Sie den Flynn-Effekt? Der Flynn-Effekt, benannt nach einem neuseeländischen Politikwissenschaftler, bezeichnet die Tatsache, dass bis in die 1990er Jahre die Ergebnisse von IQ-Tests immer besser ausfielen. Kein Wunder also, dass die Abschlussnoten der Jugendlichen auch immer besser werden? Im Sommer 2022 rühmte sich ein Thüringer Gymnasium damit, dass über die Hälfte der Jugendlichen mit einem 1er Abitur die Schule beendete.
Das sind doch super Nachrichten, oder? Da müssten sich doch ausreichend geeignete Bewerber*innen finden? Ein Blick in die Azubi-Recruiting Trends 2023 zeigt: dem ist nicht so. 54 Prozent der von uns befragten Unternehmen machen die mangelnde Eignung der Bewerber*innen für unbesetzte Ausbildungsplätze im Sommer 2022 verantwortlich.
Woran könnte das liegen? Ich hätte da so verschiedene Ideen:
1. Die Menschen werden doch nicht immer schlauer. Auch James R. Flynn und verschiedene europäische Forscher haben zwischenzeitlich festgestellt, dass die Ergebnisse von IQ-Tests seit Mitte der 90er-Jahre in den Industrienationen stagnieren oder sogar leicht rückläufig sind.
2. Immer mehr Fächer haben einen Numerus Clausus. Die gute Note ist oft Voraussetzung für den Wunschstudiengang.
3. Der Drang nach Selbstoptimierung macht auch vor Schulnoten nicht halt. Streber sein ist heute “IN”.
4. Mit Rechtsanwälten drohende Eltern tragen auch dazu bei, dass Lehrer bei der Notenvergabe eher Milde walten lassen.
5. Unternehmen beurteilen Eignung falsch.
Punkt 1 bis 4 sind meine persönlichen Mutmaßungen. Punkt 5 kann ich belegen. So zeigen die Ergebnisse der Azubi-Recruiting Trends 2023 sehr deutlich, dass Unternehmen bei der (Vor-)Auswahl von Bewerbenden auf Instrumente setzen, die Eignung nicht oder nur ungenau vorhersagen.
Aus Angst, den falschen Bewerbenden einzustellen, machen Unternehmen den deutlich schwerwiegenden Fehler: Sie stellen geeignete Bewerbende nicht ein. Statt auf wissenschaftlich erprobte Instrumente und objektive Auswahlverfahren, wird dem Bauchgefühl und alten Glaubensätzen vertraut.
Da lassen wir uns lieber anlügen (die immer noch beliebte Frage nach den negativen Eigenschaften). Oder wir sind entrüstet, wenn ein 17-Jähriger nicht weiß, was ein Verfahrensmechaniker für Beschichtungstechnik macht. Schließlich gibt es das Internet. Und Struktur in Interviews wird definitiv auch überbewertet.
Bevor wir also die Schuld bei den Bewerbenden suchen, sollte wir doch mal vor der eigenen Haustüre kehren und die eigenen Glaubenssätze hinterfragen. Meiner lautete viele Jahre: „Wer meinen Namen falsch schreibt ist raus“. Bis ein schlauer Mensch mir klar gemacht hat, dass das mein verletztes Ego ist – aber bei vielen Berufen keine Eignungsaussage.
Mehr spannende Studienergebnisse gibt es zum kostenlosen Download unter diesem Link:
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