Nutzen Sie beim Azubi-Recruiting das strukturierte Interview
Frau Hartke, als Psychologie-Studentin an der Uni Marburg und Mitarbeiterin der u-form Testsysteme befassen Sie sich mit dem strukturierten Interview im Recruiting. Der Bedarf daran steigt, dennoch werden Bewerberinnen und Bewerber in vielen Unternehmen unstrukturiert befragt. Worin liegt der Unterschied?
Im unstrukturierten Einstellungsinterview werden meist Fragen gestellt, die den konkreten Anforderungen der jeweiligen Stelle nicht gerecht werden. Sie lenken vom Wesentlichen ab, erfassen nur selten die tatsächlichen Kompetenzen und bieten geeignete Fallen für Beobachtungsfehler. Ergebnis: Sie können nicht valide vorhersagen, ob Bewerber*innen zu Ihnen passen.
Wer strukturiert interviewt, hat Vorarbeit geleistet. Eine Anforderungsanalyse ist dabei das A und O. Sie legt im Vorhinein fest, welche Eigenschaften, Kenntnisse und Fähigkeiten jemand mitbringen muss, um zur Stelle zu passen. Denn nur wer weiß, worauf es im Job ankommt, kann im Interview die richtigen Fragen stellen.
Wie führe ich eine Anforderungsanalyse durch? Können Sie das vielleicht an einem konkreten Beispiel erklären?
Es gibt drei Methoden. Stellen Sie sich vor, Sie suchen Auszubildende für den Beruf Industriekaufmann-/frau. Sie können erstens die Erfahrungen von Kolleginnen und Kollegen und deren Vorgesetzten sowie anderen Jobexpertinnen oder -experten einholen und sie fragen: „Was muss ein Azubi können, um im Beruf Industriekaufmann/-frau erfolgreich zu werden?“ Zweitens können Sie dies auch durch standardisierte Verfahren, zum Beispiel Fragebögen, ermitteln. Drittens lassen sich statistische Zusammenhänge herstellen zwischen den Merkmalen erfahrener Industriekaufleute im Unternehmen und ihrem beruflichen Erfolg. Das ist eine Benchmark für Ihre Bewerberinnen und Bewerber. Die dadurch gewonnenen Anforderungen in Ihrem fertigen Anforderungsprofil können zum Beispiel sein: Teamfähigkeit, Kundenorientierung, Organisationsfähigkeit, eigenverantwortliches Handeln.
Ich wähle die erste Methode und befrage meine langjährige Mitarbeiterin, die Industriekauffrau Gesa Meier. Wie geht das und wie geht es weiter?
Eine Möglichkeit wäre, dass Sie und Frau Meier mit Beispielen arbeiten. Etwa so: „Frau Meier, berichten Sie mir bitte von einer schwierigen beruflichen Situation, in der Sie gut gehandelt haben. Wie kam es dazu? Wie sind Sie vorgegangen? Was wäre ein No go gewesen?“ Frau Meier berichtet dann möglicherweise Folgendes: „Ein Kunde rief an, weil nur die Hälfte der bestellten Produktanzahl bei ihm angekommen war und es sich zudem um die falsche Ware handelte. Ich habe mich sofort entschuldigt, den Fehler nachvollzogen, einen kostenlosen Rückversand der falschen Ware ermöglicht und die Bestellung neu auf den Weg gebracht. Außerdem hat der Kunde einen Rabatt als Entschädigung bekommen.“ Aus diesem Bericht ergibt sich die Anforderung „Kunden- und Serviceorientierung“. Zu dieser werden nun konkrete Fragen und Antwortskalen für Ihr strukturiertes Interview konstruiert.
Wie gehe ich dabei vor?
Wir unterschieden zwischen zwei wesentlichen Arten von Fragen, biografisch und situativ. Die biografischen Fragen sind wertvoll, weil ein Verhalten aus der Vergangenheit die beste Vorhersage für ein Verhalten in der Zukunft bietet. Im Interview können Sie fragen: „Wie sind Sie in der Vergangenheit beim Verkaufen vorgegangen und wie haben Sie Ihre Kundinnen und Kunden betreut?“
Eine situative Frage erfasst dagegen, wie sich eine Bewerberin oder ein Bewerber in einer konkreten Arbeitssituation verhalten würde. In unserem Fall leiten Sie diese direkt aus dem Fall der Kollegin ab: „Ein Kunde beschwert sich. Er hat vor einigen Wochen ein Produkt bestellt, nun das falsche Modell geliefert bekommen und nur die Hälfte der georderten Menge. Wie verhalten Sie sich?“ Die Antwortmöglichkeiten geben Sie vor, entweder auf einer drei- oder fünfstufigen Skala. Anhand der Kategorien wie „Ich gebe dem Kunden die Schuld“ (0 Punkte) bis „Ich entschuldige mich, ermögliche eine kostenlose Rücksendung und biete einen Rabatt auf die eigentliche Bestellung“ (4 Punkte) können Sie die Antworten problemlos einordnen und anschließend auswerten. Wichtig: Sie stellen allen Bewerberinnen und Bewerbern, die eine Ausbildung als Industriekaufmann/-frau beginnen möchten, dieselben einmal erarbeiteten Fragen zu denselben Anforderungen, damit Sie die Ergebnisse vergleichen können.
u-form wird etwa im Frühherbst strukturierte Interviews anbieten. Können Sie hierauf schon einen Ausblick geben?
Wir gehen branchenspezifisch vor: Es wird Interviews für den gewerblich-technischen und für den kaufmännischen Ausbildungsbereich geben. Die Standards entwickeln wir gerade und arbeiten für die Anforderungsanalyse eng mit erfahrenen Unternehmen zusammen, werten Stellenanzeigen aus, erarbeiten biografische und situative Fragen. Die Fragen werden berufsübergreifende wie berufsspezifische Kompetenzen erfassen. Da jedes Unternehmen individuelle Besonderheiten beim Recruiting hat, gibt es immer die Möglichkeit, das Interview an eigene Bedürfnisse anzupassen. Wichtig ist uns eine unkomplizierte, automatische Auswertung. Wir wollen, dass unsere Kunden mit dem strukturierten Interview anforderungsbezogen, objektiv, fair, effizient und präzise ihre Bewerberinnen und Bewerber auswählen können.
Vielen Dank für das interessante Gespräch und die aufschlussreichen Informationen zum Recruiting-Instrument „Strukturiertes Interview“.