Am Rande einer Ausbildungsveranstaltung habe ich im März Michael Mühlegg kennengelernt, der in Süddeutschland den Standort Süd der Nachwuchsstiftung Maschinenbau leitet. Er hat zum Thema Rekrutierung von Schulschwachen Aspekte aufgezeigt, die mich nachhaltig beeindruckt haben. Das soll schon was heißen und ist daher für mich ein Grund, einmal nachzuhaken.
Felicia Ullrich: Die meisten Betriebe stellen derzeit am liebsten Bewerber, die gute Schulnoten mitbringen, als Azubis für den technischen Bereich ein. Was ist daran falsch?
Herr Mühlegg: Betriebe stellen derzeit lieber Azubi-Bewerber mit guten Schulnoten ein, obwohl sie wissen, dass sie diese wieder verlieren. Im technischen Bereich kostet eine duale Ausbildung die Betriebe nach meinen Schätzungen aktuell zwischen 70000 und 100000 Euro pro Azubi. Kaufmännische Azubis werden ja nur in Betriebsabteilungen eingesetzt, im technischen Bereich werden die Auszubildenden im ersten Jahr komplett in der Ausbildungsabteilung ausgebildet, die sind da noch nicht in die Wertschöpfung integriert. Für die technischen Azubis werden außerdem extra Maschinen angeschafft und unterhalten – das ist eine Parallelwelt, die die Betriebe selbst finanzieren müssen.
Wir haben vor diesem Hintergrund aktuell das Problem, dass schulstarke Azubis nach der Ausbildung gerne an die Fachoberschulen und von da an die Hochschulen weiterziehen. Das in die Ausbildung dieser Azubis investierte Geld ist dann für die Betriebe verloren. Denn das ist meine Erfahrung: Wer sehr gute Schulnoten in die technische Ausbildung mitbringt, für den ist die duale Ausbildung nur eine Zwischenstation.
Bei schulschwachen Azubis kann es zwar sein, dass der eine oder andere seine Ausbildung nicht schafft. Das ist aber nach meiner Erfahrung und auch nach den Berichten zahlreicher Ausbildungsleiter, die ich kenne, nur ein sehr geringer Teil. Die meisten der schulschwachen Azubis bringen ihre Ausbildung zu Ende und bleiben dann den Betrieben länger erhalten.
Vor diesem Hintergrund ist mein Ratschlag an die Betriebe: Macht doch mal einen Business Case auf, dann rechnet sich die Einstellung von schulschwachen Azubis und die der schulstarken eben nicht mehr. Nehmen wir mal an: Von 20 schulschwachen Azubis schafft einer die Ausbildung nicht, von 20 sehr guten Schülern sind 15 nach der Ausbildung wieder weg. Wie hoch ist jeweils die Fehlinvestition? Die Betriebe sparen aktuell immer mehr Personal in der technischen Ausbildung und betreuen mehr Azubis mit weniger Personal. Da heißt es dann in der Folge: „Wir können uns die Betreuung von schulschwachen Azubis nicht leisten.“ Das ist aber eine Milchmädchenrechnung, weil der Return on Investment bei den schulschwachen Bewerbern einfach besser ist.
Würden Ausbildungsunternehmen mehr Schulschwache einstellen und sie intensiv betreuen, würden sie das Ergebnis der Ausbildung verbessern. Denn „eine gute Ausbildung“ müssten wir eigentlich über das Delta zwischen Ausbildungsbeginn und dem Ausbildungsende definieren, nicht über die Noten bei der Abschlussprüfung. Wenn ich einen Schulschwachen einstelle, legt der in den meisten Fällen zwar keine Einser IHK-Prüfung hin. Dafür kann er sich aber im Laufe der Ausbildung weiterentwickeln und vor allem im praktischen Bereich des betrieblichen Alltags viel reißen und bleibt dem Betrieb über das Ausbildungsende hinaus erfahrungsgemäß deutlich länger erhalten. So erhalte ich als Ergebnis der Ausbildung motivierte und sehr zuverlässige Facharbeiter, die sich der Chance, die der Betrieb ihnen in jungen Jahren gegeben hat, in der Regel bewusst sind. Solche Mitarbeiter werden mit der Zeit immer wertvoller für den Betrieb und identifizieren sich sehr stark mit dem Unternehmen.
Felicia Ullrich: Sie waren vor ihrer Tätigkeit für die Nachwuchsstiftung selbst als Ausbildungsleiter tätig. Wie haben Sie damals die Rekrutierung von Auszubildenden für den technischen Bereich gelöst?
Herr Mühlegg: Für die Nachwuchsstiftung arbeite ich seit Oktober 2016. Vorher war ich Ausbildungsleiter in zwei Maschinenbauunternehmen. Zunächst für einen Mittelständler mit 1900 Mitarbeitern und dann für einen Konzern mit 7000 Mitarbeitern. Ich habe damals schon so über die Rekrutierung von technischen Azubis gedacht wie heute. Da kam die Auswahl nach Schulnoten für mich natürlich nicht in Frage. Wir haben das über Tests sowie Praxisübungen gelöst – und über Schülerpraktika. Die Schülerpraktikanten kamen in der neunten oder achten Klasse der Real- und Hauptschule für einige Wochen zu uns in den Betrieb. Als Ausbildungsleiter habe ich während des Praktikums einen Test mit denen gemacht und ein Vorstellungsgespräch geführt. Wenn es passte, bekamen sie am Ende des Praktikums einen Ausbildungsvertrag, sodass sie sich dann gar nicht mehr bewerben mussten. Entgegen der Vorhersage einiger Skeptiker haben die ihre Schule dann trotzdem ordentlich zu Ende gebracht, obwohl sie den Vertrag „in der Tasche hatten“. Dadurch haben wir viel Geld und Zeit in der Ansprache und Auswahl von Azubis gespart.
Felicia Ullrich: Was macht eigentlich die Nachwuchsstiftung Maschinenbau?
Herr Mühlegg: Die Nachwuchsstiftung legt ihren Fokus sowohl auf die Nachwuchsgewinnung im deutschen Maschinen- und Anlagenbau als auch auf den Wissenstransfer der neusten Technologien in die berufliche Bildung. Wir sind Impulsgeber und bieten Hilfestellungen für Ausbilder, Personalleiter und Berufsschullehrer, indem wir etwa aktuellstes Wissen in analoger als auch in digitaler Form entwickeln und diese über unsere mobile Lernplattform „MLS“ zur Verfügung stellen. Wir haben zudem mehr als 100 unterschiedliche Qualifizierungsmaßnahmen für die Multiplikatoren, die wir jedoch nicht selbst durchführen, sondern diese direkt in Kooperation mit den Herstellerunternehmen anbieten. Da geht es zum Beispiel um CNC Technik, CAD/CAM, Steuer- und Regelungstechnik sowie Robotik. Ergänzend bieten wir auch Methodik-Workshops. Azubis können an von uns organisierten Maßnahmen teilnehmen, die sie zusätzlich qualifizieren, wie zum Beispiel die Fachkraft für digitale Fertigungsprozesse. Schüler der Klassen 7 bis 10 laden wir auf Fachmessen ein, um sie für Technik zu begeistern. Kurzum: Wir tragen dazu bei, dass sich der Nachwuchs für den Maschinenbau begeistert und zeitgemäß qualifiziert.
Michael Mühlegg ist Standortleiter Süd bei der Nachwuchsstiftung Maschinenbau gGmbH und damit in der Stiftung für „Deutschland unterhalb von Fulda“ verantwortlich. Mühlegg ist 39 Jahre alt und wohnt in der Nähe von Stuttgart.
www.nachwuchsstiftung-maschinenbau.de