“Eigentlich sind es wir, die davon profitieren” – Interview Henner Knabenreich
Der frechmutige Blogger und Personalmarketing-Spezialist Henner Knabenreich von personalmarketing 2.0 in einem spannenden Interview zum Thema Chancen und Risiken der Digitalisierung für kleine und mittelständige Unternehmen (KMU).
u-form Testsysteme: Der Übergang ins digitale Zeitalter wird bereits seit den 90er Jahren in der Wirtschaftspresse breitflächig behandelt. Warum ist „Digitale Transformation“ momentan wieder so ein großes Hype-Thema?
Henner Knabenreich: Nun, da kann ich nur spekulieren. Ist ja ´ne Weile her. Seinerzeit ging es m. E. mehr um das Internet, das damals aufkam. Auf einmal gab es die Möglichkeit, sich mit einer Unternehmenswebseite einem weltweiten Publikum zu präsentieren. Auch die ersten Jobbörsen gingen seinerzeit an den Start. Erstmals konnte man seine Stellenanzeigen online einer wachsenden Zahl von Nutzern zugänglich zu machen. Und zwar nicht für viel Geld und nur für einen kurzen Moment in Print, bis die Zeitung ausgelesen war und im Papierkorb landete, sondern für einen Monat, 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche. Auch kam damals die E-Mail auf, die Reaktionen darauf waren eher von Zweifeln und Ängsten geprägt. Auf einmal sollte man nicht per Briefpost oder Fax kommunizieren, sondern digital? Unvorstellbar für viele.
Genauso unvorstellbar wie die Tatsache, dass heute immer mehr Prozesse digitalisiert und effizienter gestaltet werden können und dass dank Auswertung einer Flut von Daten die Bewerberauswahl genauer und effizienter erfolgen kann. Oder, als Worst-Case-Szenario: Dass der Computer den Menschen ersetzt und demnächst der Roboter den Job des Recruiters macht. Wobei solche Szenarien ja gerne von den Medien gepusht werden.
Genau wie in den 90ern auch hilft es nicht, den Kopf in den Sand zu stecken und zu hoffen, dass das alles schon vorbeigeht – was es nämlich nicht tut – sondern sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen.
u-form Testsysteme: Wer profitiert von diesem Hype am meisten?
Henner Knabenreich: Eigentlich sind wir es, die davon profitieren. Wenn wir die Chance ergreifen, die neuen Möglichkeiten, die sich uns dank der Digitalisierung bieten, für uns zu nutzen.
Ansonsten sind es natürlich die Anbieter, die diese Technologien vorantreiben, und selbst ernannte Berater, die ihr Wissen zum Besten geben.
u-form Testsysteme: Welche Entwicklungen darf man als Ausbildungsunternehmen nicht verpassen?
Henner Knabenreich: Ich schaue mir bereits seit 2003 an, wie sich deutsche Arbeitgeber respektive Ausbildungsbetriebe im Netz präsentieren.
Damals wie heute – und mittlerweile sind immerhin 14 Jahre ins Land gegangen – gibt es enorme Potenziale zu heben. So sind beispielsweise Karriere-Websites mit wirklich umfangreichen und die Entscheidung beim Bewerber fördernden Inhalten zur Ausbildung nach wie vor eher die Ausnahme denn die Regel. Und das nicht nur bei den KMU, sondern auch bei Konzernen.
Dabei sind die Unternehmen selbst gefordert, die Berufsorientierung in die Hand zu nehmen. Je besser ich potenzielle Bewerber informiere, desto höher ist aufgrund der Selbstselektion der Bewerber die Qualität der Bewerbungen. Zudem sind Bewerber im Vorstellungsgespräch besser informiert.
Entscheidend ist dabei natürlich auch, dass die Arbeitgeber-Präsenz gefunden wird – und da helfen SEO und SEM weiter. Auch hier gibt es noch viel zu tun, denn gerade das Thema SEO wird noch in vielen Fällen stiefmütterlich behandelt.
Und vor dem Hintergrund, dass Nutzer zunehmend mit ihren mobilen Endgeräten ins Internet gehen, müssen die Websites natürlich auch mobile-optimiert sein – sprich: auf jedem Endgerät angepasst abrufbar sein und dabei auch die Usability nicht außer Acht zu lassen.
Auch was Bewerbermanagementsysteme angeht, gibt es Optimierungspotenziale. So sind browserbasierte Systeme heute längst machbar, die wesentlich kostengünstiger und in der Regel auch nutzerfreundlicher sind als so manche Urgesteine auf dem Markt, die die Entwicklung verpasst haben. Tja, und auch der Bewerbungsprozess selbst sollte vereinfacht werden. So könnte man beispielsweise dem Bewerber überlassen, ob er sich lieber per Video oder klassisch, per Anschreiben, bewerben will.
u-form Testsysteme: Chancen der Digitalisierung im HR – was kann uns die Digitalisierung Gutes bringen?
Henner Knabenreich: Die Digitalisierung birgt meines Erachtens mehr Chancen als Risiken. Nämlich vor allem effizientere Prozesse, die eine Ressourcenersparnis bringen. So bieten bspw. digitale Mitarbeiterempfehlungsprogramme oder Matching-Technologien enorme Potenziale bei der Ansprache geeigneter Bewerber. Die gewonnenen Ressourcen können dann wiederum in eine zielgerichtete und wertschätzende Bewerberkommunikation einfließen.
Entscheidend ist aber, dass sich das HR aktiv mit den Themen auseinandersetzt. Ansonsten ist die ein oder andere Rolle schnell obsolet, kann sie im Zweifelsfall Kollege Computer besser füllen. Allerdings sind auch die Hochschulen gefordert, die zukünftigen HRlern ein zeitgemäßes Skillset vermitteln sollen. Was wohl wiederum schwierig wird, weil viele der Hochschulprofessoren selbst nicht das Know-how mitbringen.
Letztendlich ist aber alles immer eine Frage der inneren Haltung. Wer sich nicht von sich aus für solche Themen interessiert und sich aktiv damit auseinandersetzt, kann sich wohl bald nach einem neuen Arbeitsplatz umsehen.