„Wir wollen gute Kandidaten nicht ziehen lassen!“
Dr. Lara Görtner, Ausbildungsleiterin bei der Provinzial Rheinland, weiß, dass es sich lohnt auch kurzfristig neue Auszubildende zu rekrutieren. Warum und wie, erklärt sie im Interview.
u-form: Frau Dr. Görtner, vielen Dank, dass Sie sich zu einem Interview bereit erklärt haben. Sie suchen noch bis kurz vor Ausbildungsbeginn nach neuen Auszubildenden. Von großen Unternehmen, zu denen die Provinzial ja definitiv gehört, hört man häufig, dass sie z. B. schon im November des Vorjahres alle Ausbildungsplätze besetzt haben wollen. Wieso machen Sie es anders?
Dr. Lara Görtner: Ich glaube, dass in jeder Bewerbungswelle gute Kandidaten dabei sind. Wir behalten uns vor, aus jedem Auswahlverfahren immer die Besten auszusuchen. Da gibt es Auswahlverfahren, bei dem kein passender Kandidat dabei ist, und es gibt Auswahlverfahren, bei denen wir vier passende Bewerber auf einmal finden.
Die erste große Bewerberwelle erreicht uns immer in den Monaten September/Oktober. Aber auch in den anderen Monaten, in denen wir Bewerbungen erhalten, sind viele gute Leute dabei. Das können z. B. Studierende sein, die ihr Abitur im Vorjahr gemacht, erst ein Studium begonnen haben und dann nach dem ersten Semester feststellen, dass sie mehr Praxisbezug wollen. Diese bewerben sich häufig Ende des ersten Semesters im Februar oder März. In diesen Monaten spürt man eine weitere große Bewerbungswelle mit guten, qualifizierten jungen Menschen, die nach dem Abitur erst etwas anders ausprobiert haben. Das gleiche Spiel folgt bei Studierenden des zweiten Semesters, das im Juni/Juli endet. Im letzten Jahr haben wir „kurz vor knapp“ viele sehr gute Bewerbungen erhalten.
u-form: Das heißt, Sie haben kurz vor Ausbildungsbeginn noch jemanden eingestellt?
Dr. Lara Görtner: Ja, der letzte Bewerber hat vier Tage vor Ausbildungsbeginn den Ausbildungsvertrag unterzeichnet!
u-form: Der Glaubenssatz „Wer sich nicht rechtzeitig bewirbt, ist nicht ehrgeizig genug“ herrscht bei Ihnen also nicht vor?
Dr. Lara Görtner: Nein, ich denke das ist heutzutage nicht mehr zeitgemäß. Wir hatten schon mal eine Bewerberin, die im gleichen Jahr ihr Abitur gemacht und ein freiwilliges soziales Jahr geplant hatte. Kurzfristig hat sie sich dann überlegt, direkt eine Ausbildung bzw. ein duales Studium zu beginnen und hat sich somit erst im Juli bei uns beworben. Ich fände es einfach schade, guten Leuten erst im Folgejahr einen Ausbildungsplatz anbieten zu können. Deswegen ziehen wir keine Grenze. Wir schauen lieber das ganze Jahr lang nach Bewerbern – auch wenn es einer mehr wird als ursprünglich geplant. Wir wollen gute Kandidaten nicht ziehen lassen!
u-form: Stimmt es Sie nicht unruhig, wenn im Mai noch freie Ausbildungsplätze zu vergeben sind? Viele Unternehmen haben ja gerne Planungssicherheit.
Dr. Lara Görtner: Ich würde meine Ansprüche aus diesem Grund nicht herunterschrauben. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir sogar einen Azubi mehr als geplant eingestellt haben und lassen unsere ausgeschriebenen Ausbildungsplätze durchgehend online, weil wir dann im Zweifel direkt für das Folgejahr einstellen.
u-form: Wenn noch ein richtig guter Bewerber auftaucht, schlagen Sie also zu. Was macht denn einen guten Bewerber für Sie aus?
Dr. Lara Görtner: In erster Linie das gute Notenbild. Bei den Kaufleuten für Versicherungen und Finanzen schauen wir besonders auf die Fächer Deutsch und Mathe, bei Bewerbern für eine Ausbildung im IT-Bereich zusätzlich auf die Informatiknoten, soweit sie das Fach in der Schule hatten. Dabei ist uns wichtig, dass Bewerber solide und vor allem auch stabile Noten über die letzten beiden Zeugnisse vorweisen können. Um die Zeugnisnoten zu verifizieren, müssen Bewerber einen kombinierten Deutsch- und Mathetest absolvieren. In diesem Test fragen wir genau das ab, was uns für die Ausbildung wichtig ist.
u-form: Wie sieht es in puncto Persönlichkeit aus?
Dr. Lara Görtner: Kommunikationsstärke ist uns sehr wichtig, genauso wie die Fähigkeit zur Teamarbeit. Extrem wichtig sind auch Kunden- und Vertriebsorientierung. Das sind Kriterien, die in vielen Berufen gefragt sind. Wir haben in unser Auswahlverfahren eine Gruppenübung eingebaut, bei der die Bewerber diese Facetten ihrer Persönlichkeit gut zeigen können. Es ist uns wichtig, dass niemand nur seine eigenen Interessen durchsetzt. Man sollte kompromissbereit sein, sich einbringen und versuchen gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Unsere Bewerber sollten keine Scheu vor einer Kontaktaufnahme haben und ein gewisses Selbstbewusstsein mitbringen.
u-form: Vielen Dank für das spannende Interview, Frau Dr. Görtner.
Das ganze Interview mit Frau Dr. Görtner erscheint im Sommer 2019 im neuen A-Recruiter Magazin mit dem Titel „Von den Besten lernen“. Freuen Sie sich auf dieses und weitere spannende und inspirierende Interviews mit interessanten Personen und ihren Ideen.