Expertenwissen: So gelingt der Abschluss mit Anschluss
Dr. Dieter Dohmen ist Analyst, Visionär, kreativer Denker und Unternehmer. Der Inhaber und Direktor des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie Berlin FiBS forscht regelmäßig zum Thema lebenslanges Lernen.
Zu Beginn des Corona-Lockdown hat er mit der FiBS ElternHotline gGmbH, ein Social Impact Start-up zur Unterstützung von Eltern und der Kooperation Kita bzw. Schule und Elternhaus gegründet. In einer seiner jüngsten Studien kritisiert er, dass heute zu viele Jugendliche trotz Schulabschluss keinen Ausbildungsplatz finden.
Im Interview hat uns Dr. Dohmen die Hintergründe der aktuellen Ausbildungsproblematik erläutert und erste Lösungsansätze aufgezeigt, um dem Trend entgegenzusteuern.
Herr Dohmen, der Trend, dass Ausbildungsbetriebe zunehmend Bewerber*innen mit Abitur suchen, hat sich laut Ihrer Studie weiter verstärkt. Warum ist das so?
Zum einen haben sich die Berufe und die Anforderungen über die Jahre gewandelt. Die ehemalige Sekretärin ist heute eine Kauffrau für Büromanagement und hat ganz andere Aufgaben, der Schaffner im Zug muss gut Englisch können, zudem gibt es immer mehr IT-Berufe. Das Abitur scheint hier eine Art Signal-Funktion zu haben, dass Betriebe denken: Ich erwarte dies und jenes und die Abiturienten bringen das auf jeden Fall mit. Das Problem dabei ist nur, dass für eine bestimmte Gruppe an Schulabgängern damit der Fahrstuhl weiter nach oben fährt – eben für jene, die gut vernetzt sind, denen die Eltern helfen können und so weiter. Und für die anderen bleibt er im Erdgeschoss oder fährt gar nach unten. Es kann aber nicht sein, dass wir jedes Jahr rund 250.000 bis 300.000 Jugendlichen sagen „Ihr seid nicht gut genug“. Denn die fallen durchs Raster. Besonders jene mit oder ohne Hauptschulabschluss.
Wer kann gegensteuern? Das Bildungssystem? Die Unternehmen?
Beide.
Fangen wir mit den Möglichkeiten im Bildungssystem an.
Sagen wir: Aufgabe von Schule ist es, die Möglichkeiten jedes Einzelnen individuell zu entdecken und zu fördern. Um zum Beispiel herauszufinden, ob ein Schüler mit Migrationshintergrund zum Beispiel ein Defizit in Deutsch mit guten Türkisch- oder Arabisch-Kenntnissen kompensieren kann. Sagen wir, wir hätten eine Lernkultur, die Lust macht auf das Lernen. Wo Schülerinnen und Schüler ihr jeweiliges Können einbringen, auch scheinbar abgefahrene Ideen verfolgen können und wenn sie auf die Nase fallen, machen sie weiter. Dazu dürften uns aber Schulnoten nicht mehr primär interessieren. Dazu müssten wir wegkommen von einem Bildungssystem, in dem jemand einem anderen sagt, was er zu lernen hat. Sondern das die Lust am Lernen weckt, das Stärken stärkt und die Jugendlichen dadurch fit und selbstbewusst macht für den Beruf. Dafür bräuchte es Lehrerinnen und Lehrer, die mehr Erfahrung in den Unterricht einbringen als ein Fachstudium mit dem Wurmfortsatz Pädagogik. Es braucht auch mehr interkulturelle Kompetenz. Wir müssen Kinder und Jugendliche auf eine extrem dynamische und flexible Welt vorbereiten. Deshalb brauchen eine völlig veränderte Lehrerbildung und -begleitung.
Machen wir mit den Handlungsoptionen von Unternehmen weiter.
Unternehmen brauchen ein klares Azubi-Profil, das jene Kompetenzen definiert, die wirklich wichtig sind. Was muss die Kauffrau können? Was muss der Handwerker können? Wie stelle ich diese Kompetenzen konkret fest und was erwarte ich dementsprechend? Das geht insbesondere bei KMU im Alltag oft unter, sprich man hat nur ein vages Bild des gewünschten Auszubildenden. Letztlich entscheidet man dann aufgrund von Schulnoten und wählt womöglich junge Menschen aus, die ihre Stärken nicht kennen, die in Firmen anfangen, die nicht genau sagen können, welche Fähigkeiten man eigentlich braucht – das kann nicht funktionieren. Dabei ist ein klares Profil das A und O. In der Ausbildung selbst müssen die Firmen genau identifizieren, was Jugendliche können (statt nur auf die Defizite zu schauen!) und sich darauf ausrichten. Ihnen aber gleichzeitig Raum geben, um zu scheitern. Sie müssen sie absichern, aber vor allem klettern lassen. So dass sie aus sich selbst heraus engagiert anpacken und Lust haben, Neues zu lernen und auszuprobieren.
Bewerber*innen erreichen – das hat heute auch viel mit der Präsenz in sozialen Medien zu tun. Welche Kanäle empfehlen Sie in diesem Zusammenhang?
Unternehmen müssen auf die Plattformen, wo die Jugendlichen sind, und das sind weder Facebook noch Twitter, sondern Instagram und TikTok. Sie müssen ihre Kommunikation so aufbereiten, dass sie die Jugend anspricht – dabei darf es nicht darum gehen, was mir gefällt, sondern was sind Eyecatcher für Jugendliche? Vielleicht sollte man einfach mal den eigenen Azubis die Kommunikation mit Bewerberinnen und Bewerbern überlassen, ihnen hier Freiräume geben, ohne ihnen zu sagen, das geht und das nicht. Wir müssen weg von unserer Erwachsenendenken und uns darauf einlassen, was die Jugendlichen mitbringen und was sie anspricht. Die sind meist weiter und besser als wir es in dem Alter waren, auch wenn wir gerne anderes glauben.
Vielen Dank für das interessante Gespräch, Herr Dr. Dohmen!