Ausbildungsgarantie: Politischer Sündenfall oder Weg aus der Ausbildungskrise?
Die einen preisen sie als Wundermittel gegen die Ausbildungskrise an, bei anderen sträuben sich die Nackenhaare und sie befürchten den Untergang des dualen Ausbildungssystems. Was es mit der Ausbildungsgarantie auf sich hat, zeigt eine spannende Studie der Bertelsmann Stiftung und ein Blick nach Österreich.
In Österreich schafft eine Ausbildungsgarantie die rechtliche Grundlage dafür, dass jede:r ausbildungswillige Jugendliche bis 25 Jahre ein Angebot für eine Ausbildung erhält. Nur, wenn es trotz intensiver Vermittlungsbemühungen nicht gelingt, einen betrieblichen Ausbildungsplatz zu finden, wird die Ausbildung zunächst bei einem Träger durchgeführt – aber immer mit betrieblichen Praxisphasen. Ein Übergang von der Ausbildung beim Träger – in Österreich überbetriebliche Ausbildung (ÜBA) genannt – in betriebliche Ausbildung wird kontinuierlich angestrebt und unterstützt. Nur wenn das nicht gelingt, wird die Ausbildung bei dem Träger auch zu Ende geführt. Der Abschluss ist dem der betrieblichen Ausbildung gleichgestellt.
Brauchen wir so eine Ausbildungsgarantie denn auch in Deutschland, wo es hierzulande doch so viele unbesetzte Ausbildungsplätze gibt?
Ein in den letzten Jahren wachsendes Phänomen sind die so genannten Passungsprobleme, d. h. das gleichzeitige Auftreten von unbesetzten Ausbildungsplätzen und unversorgten Bewerber:innen. Zuletzt standen laut Berufsbildungsbericht knapp 60.000 unbesetzten Ausbildungsstellen rund 78.000 Jugendliche gegenüber, die entweder völlig leer ausgegangen waren oder in eine Alternative zur Ausbildung gemündet sind, dabei aber ihren Ausbildungswunsch aufrechterhalten haben. Ein Teil dieser Passungsprobleme lässt sich durch bessere Berufsorientierung, Mobilitätshilfen oder Übergangsbegleitung angehen, aber dennoch landen viele Jugendliche in den Maßnahmen des sogenannten Übergangssystems – und leider gelingt längst nicht jedem im Anschluss daran der Übergang in eine Ausbildung. Die Folge ist, dass es seit vielen Jahren in Deutschland einen hohen und sogar leicht ansteigenden Anteil an Jugendlichen gibt, die dauerhaft ohne Ausbildung bleiben. Derzeit haben über zwei Millionen der 20- bis 34-Jährigen keine Berufsausbildung. Das ist schlecht für die Jugendlichen und verschärft den Fachkräftemangel.
Aber lässt sich das österreichische Modell der Ausbildungsgarantie auf Deutschland übertragen? Was würde passieren, wenn es das in Deutschland gäbe? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, hat die Bertelsmann Stiftung eine Studie in Auftrag gegeben mit dem Ziel, die möglichen volkswirtschaftlichen Auswirkungen einer Ausbildungsgarantie nach österreichischem Vorbild in Deutschland zu berechnen. Dabei werden im ersten Schritt Erfahrungswerte aus Österreich ermittelt. Diese werden dann im zweiten Schritt in ein volkswirtschaftliches Modell übertragen, das die wirtschaftliche Situation in Deutschland abbildet. Auf diese Weise wird die Einführung einer Ausbildungsgarantie simuliert und deren volkswirtschaftliche Auswirkungen werden abgeschätzt.
Wie sind nun die Erfahrungswerte in Österreich? Dort nehmen 40 Prozent derjenigen, die bei der Ausbildungsplatzsuche leer ausgegangen sind, einen solchen öffentlich geförderten Ausbildungsplatz in Anspruch. Zwei Drittel von ihnen führen die Ausbildung dann auch erfolgreich zu Ende. Wiederum zwei Drittel dieser erfolgreichen Teilnehmer:innen wechseln im Laufe ihrer Ausbildungszeit von der ÜBA in eine betriebliche Ausbildung. Hier zeigt sich übrigens, dass die Ausbildungsgarantie nicht in Konkurrenz zur betrieblichen Ausbildung steht, sondern auch den Betrieben hilft. Denn es profitieren beide Seiten: Die Jugendlichen bekommen Ausbildungsplätze und die Unternehmen bereits vorqualifizierte Azubis.
Und was ist das Ergebnis der Simulationen? Nimmt man die rund 78.000 Ausbildungsbewerber:innen, die in Deutschland keinen Ausbildungsplatz fanden und überträgt die oben genannten österreichischen Relationen, so würden 31.200 (40 %) von ihnen die Ausbildungsgarantie nutzen. Von dieser Gruppe gelingt dann 20.592 (66 %) Personen ein Ausbildungsabschluss. Da diese Jugendlichen sonst keinen Abschluss erreicht hätten, stehen sie der Wirtschaft dank der Ausbildungsgarantie als zusätzliche Fachkräfte zur Verfügung. Dadurch steigt die Produktivität und damit auch das Bruttoinlandsprodukt – und zwar nach zehn Jahren bereits um 2,6 Milliarden Euro pro Jahr. Nach 20 Jahren ergeben sich sogar mehr als 8 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich. Für die öffentlichen Haushalte verursacht die Ausbildungsgarantie Kosten in Höhe von rund 1,44 Milliarden Euro pro Jahr beziehungsweise 72.000 Euro pro Absolvent:in. Gleichzeitig steigen jedoch die staatlichen Einnahmen aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, sodass sich die Investition aus staatlicher Sicht bereits ab dem neunten Jahr auszahlt. Zudem sinkt die Arbeitslosenquote langfristig um 0,26 Prozentpunkte.
Natürlich profitieren auch die Absolvent:innen von der Ausbildungsgarantie, die andernfalls keinen Ausbildungsabschluss erlangen würden, da ihre Beschäftigungschancen und ihre Erwerbseinkommen deutlich steigen. Schätzungen zufolge beträgt die Differenz zwischen dem Brutto-Lebensarbeitseinkommen von Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung und Personen mit niedrigerem Bildungsniveau in Deutschland durchschnittlich 580.000 € (ausgedrückt in Preisen von 2019).
In der Gesamtschau lassen sich die Wirkungsweise und möglichen Effekte einer Ausbildungsgarantie in Deutschland wie folgt darstellen:
Eine Ausbildungsgarantie kann sicher nicht alle Probleme des nationalen Ausbildungsmarktes lösen. Auch hängen die tatsächlichen Wirkungen natürlich sehr davon ab, wie die einzelnen Elemente bei einer Umsetzung gestaltet werden. Die Berechnungen legen jedoch nahe, dass die Ausbildungsgarantie zumindest einen spürbaren Beitrag dazu leisten könnte, die Zahl der erfolglosen Bewerber:innen systematisch und dauerhaft zu reduzieren und gleichzeitig die Wirtschaft mit den dringend benötigten, zusätzlichen Fachkräften zu versorgen.
Autor: Clemens Wieland, Senior Expert Bertelsmann Stiftung
Angaben zur Studie:
„Volkswirtschaftliche Effekte einer Ausbildungsgarantie – Simulation einer Übertragung der österreichischen Ausbildungsgarantie nach Deutschland.“ 2021
Susanne Forstner, Zuzana Molnárová und Mario Steiner. Institut für Höhere Studien – IHS, Wien